Qualifikation, Erfahrung, harte Arbeit – alles wichtig für die Karriere, klar. Einer der wichtigsten Faktoren ist allerdings ein stabiles Netzwerk: Wie man so eines aufbaut, pflegt und aktiviert, verrät Tijen Onaran. Die Expertin in Sachen Netzwerken.
Wer ist Tijen Onaran?
Tijen Onaran ist Unternehmerin, Investorin, Bestseller-Autorin und eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen Deutschlands, wenn es um Diversität, Sichtbarkeit und Digitalisierung geht, sowie eine der prominentesten Stimmen der deutschen Wirtschaft. Ihr Unternehmen Global Digital Women gewann als erstes Unternehmen mit Diversitätsfokus den Deutschen Exzellenzpreis. Die berufliche Networking-Plattform LinkedIn wählte sie weltweit unter eine der wenigen Influencerinnen sowie zur TOP VOICE 2020 für die DACH Region. In ihren Büchern „Die Netzwerkbibel“ und dem Spiegel-Bestseller „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ teilt sie Wissen rund um die Themen Sichtbarkeit, Networking und Personal Branding.
Warum sollte ich netzwerken?
Netzwerken hat ein Imageproblem
Netzwerken hatte die längste Zeit ein verstaubtes, meist männlich geprägtes Image und wird nach wie vor auch mit Begriffen wie Vetternwirtschaft, Vitamin B oder Filz in Verbindung gebracht. Ganz nach dem Motto „Treffen sich zwei Männer an der Bar“. Auch heute nehmen viele Menschen noch an, dass Netzwerken vor allem im beruflichen Kontext gleichbedeutend damit ist, sich anzubiedern oder Gespräche mit Menschen zu führen, die man gar nicht kennt. Durch die Social Media und die beruflichen Online-Plattformen haben sich Vorstellungen und das Image von Networking sicher stark verändert. Networking kam raus aus der Schmuddelecke und wurde zur olympischen Disziplin. Zumindest fast. Auf jeden Fall galt scheinbar auf einmal: Dabei sein ist alles. Allerdings gehört zum Networking sehr viel mehr, als sich auf einer Seite anzumelden und Freundinnen, Familie sowie alte Schulfreundinnen und Arbeitskolleginnen einer Kontaktliste hinzuzufügen. Networking, richtig betrieben, kann und sollte aber sehr viel mehr sein.
Definition Netzwerken
Auf das Wesentliche reduziert bedeutet Netzwerken nichts anderes als Beziehungsaufbau und nachhaltige Beziehungspflege. (Tijen Onaran)
So verstanden kann sich in vielen Situationen zeigen, warum sich Netzwerken lohnt. Sei es, weil man einen Rat bei einem beruflichen Projekt braucht, oder wenn man von anderen kontaktiert wird, wenn diese einen Rat oder eine bestimmte Expertise benötigen.
Netzwerke sind wie eine Versicherung oder ein Sicherheitsnetz, das einen auffängt, wenn man beispielsweise auf der Suche nach einem Job ist, sich gerade selbstständig macht oder gerade die ersten Kunden:innen sucht
Die Grenzen zwischen Netzwerken und Personal Branding sind fließend
Dabei sind die Grenzen zwischen Networking und Personal Branding fließend. Denn beim Netzwerken ist es nötig, sich zu positionieren, sichtbar zu werden und eine persönliche Marke aufzubauen. Networking hat in diesem Zusammenhang auch etwas von Selbstbestimmung und Emanzipation. Denn es geht darum, das eigene Narrativ in die Hand zu nehmen. Wer die eigene Geschichte erzählt und das eigene Netzwerk aufgebaut hat, läuft weniger Gefahr, von anderen in unliebsame Schubladen gesteckt zu werden.
Jeder kann netzwerken – besonders introvertierte Menschen!
Einige der häufigsten Sätze, die ich in diesem Zusammenhang höre, lauten: „Ich habe kein Talent fürs Netzwerken“, „Ich bin nicht so der Netzwerktyp“ oder „Ich tue mich sehr schwer auf Veranstaltungen“. Ausreden wie diese möchte ich aber nicht gelten lassen. Zum einen ist Netzwerken für uns alle essenziell. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass gerade introvertierte Menschen die besseren Netzwerkerinnen sind. Und zu guter Letzt beherrschen wir im Zweifel alle schon das, was dafür nötig ist, vielleicht nur ohne es zu wissen – nämlich im Privaten. Dort ist es nämlich eine Selbstverständlichkeit, sich im Freundeskreis nach einem Tipp für das nächste Reiseziel umzuhören, eine Möglichkeit zur Hundebetreuung zu suchen oder nach einer Empfehlung für ein neues Restaurant zu fragen.
Welcher Networking Typ bin ich?
Als es noch zur Normalität gehörte, zu Events zu gehen, gehörte es zu meinem Pflichtprogramm, auf zahlreichen Veranstaltungen zu gehen. Dabei konnte ich feststellen, dass es bestimmte Networking-Typen gibt, die man immer wieder trifft. Wie das mit solchen Zuschreibungen ist – zu ernst sollte man sie nicht nehmen, aber ein Fünkchen Wahrheit ist dann doch dabei. Wenn man sich also auch nicht alles abschauen sollte, gibt es auch immer etwas, das man von den unterschiedlichen Networking-Typen lernen kann. Das möchte ich am Beispiel des Alles-Könner- und Gernegroß-Typus zeigen.
Networking Typ Nr. 1 – Der Alles-Könner
Wie der Name schon sagt – der Alles-Könner kann einfach alles. Diesen Typus traf ich zum ersten Mal vor vielen Jahren auf dem Weg zu einer Podiumsdiskussion. Unsere Begegnung begann mit ein wenig Small Talk, bei dem schon klar wurde, dass es sich um den George Clooney unter den Netzwerktypen handelt. Während er sich galant durch die Menschenmenge schlängelte und bereits die Großwetterlage im Saal checkte, hatte ich alle Hände voll damit zu tun, mit meinen fünfundzwanzig Habseligkeiten und der groben Orientierung im Raum zurechtzukommen. Der Alles-Könner kannte aber nicht nur faktisch alle Anwesenden, er wusste auch, an welchem Punkt sich das Gegenüber gerade befand. „Das ist Herr Krause, Leiter der Kommunikation beim größten Mittelständler der Gegend. Herr Krause arbeitet mit seinem Team gerade an einer neuen Kommunikationsstrategie und wenn er das nicht macht, geht er klettern. Wie geht’s Ihrem Sohn – war die Praktikumssuche erfolgreich?“ fragt Mr. Perfect im Vorbeigehen. In nur einer halben Stunde lernte ich auf diese Weise noch Stefan, Ingo, Michaela, Karl, Constanze, das Ehepaar Zimmermann sowie viele weitere Menschen und ihre Lebensgeschichten im Schnelldurchlauf kennen.
Auch wenn der Alles-Könner ohne Zweifel beeindruckend ist, gibt es Dinge, die wir getrost nicht können müssen: Perfektion. Denn in den meisten Fällen ist es unserem Gegenüber ziemlich gleichgültig, ob man die gesamte Klaviatur der kultivierten Kommunikation beherrscht oder man zum ersten Mal auf einer Veranstaltung ist. Perfektion ist 90er. Heute sind die Underperformer die wahren Helden. Woran es sich jedoch lohnt zu arbeiten, ist die Beherrschung des Gesamtzusammenhangs. Nichts ist beeindruckender als Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, sein Gegenüber abholen zu können. Zu wissen, wer die Person ist, mit der man sich gerade unterhält, was sie gerade macht und woher man sie kennt, ist ein fundamentaler Schritt beim Networking-Einmaleins.
Networking Typ Nr. 2 – Der Gernegroß
Kontakte, Kontakte, Kontakte – so lautet das Credo des Gernegroß. Aber nicht irgendwelche Kontakte, sondern die Crème de la Crème. Er ist auf allen Veranstaltungen präsent und er kennt sie alle. Mit dem Keynote-Speaker des Events war er letztens erst beim Marathon-Lauf, der selbstverständlich „hammergut“ war. Und wenn er jemanden nicht kennt, dann kennt er zumindest jemanden, der den kennt. Scheinbar. Steht man neben dem Gernegroß wird schnell klar, dass er den Leuten, die er angeblich kennt, erstmal auf die Sprünge helfen muss, woher man sich eigentlich kennt. Der Gernegroß will eben gerne mitspielen, darf es aber aus ihm unerklärlichen Gründen einfach nicht. Das stört ihn aber auch gar nicht, denn am nächsten Tag postet er auf Xing, dass er die 1000er-Marke geknackt hat. 1000 Kontakte, 1000 „gute Freunde“, 1000 potenzielle Geschäftspartner, 1000 Leads. Denkt er zumindest.
Eigentlich möchte man dem Gernegroß die Illusion des Großen lassen. Wüsste er, dass das Große in Wahrheit ganz klein ist, wäre er wohl am Boden zerstört. Was man sich vom Gernegroß also getrost nicht abschauen muss, ist das so tun als ob. Denn über den Hans-Dampf in den Gassen wird in seiner Abwesenheit ohnehin nur gerne der Kopf geschüttelt, selbst wenn er hin und wieder einen Kontakt vermitteln kann.
Woran es sich jedoch lohnt zu arbeiten, ist das „so tun als ob“. Richtig gelesen.
Beispielsweise beim Zugehen auf andere Menschen oder der Kontaktaufnahme mit denjenigen, die viel weiter oder erfolgreicher scheinen als man selbst. Wer öfter mal seine Bedenken über Bord schmeißt und sich selbst nicht zu ernst und wichtig nimmt, wird viel eher spannenden Persönlichkeiten begegnen. Fazit: Selbstüberschätzung als Taktik, nicht als Strategie.
Netzwerken – analog oder digital?
Wenn es um Online- und Offline-Networking geht, gilt ganz klar: beides. Um genauer zu sein, müsste man aber sagen: analog first, digital second. Denn worum geht es beim Netzwerken eigentlich? Doch darum, sich mit Menschen auszutauschen, sich zu treffen, sich zu vernetzen, sich zu helfen und in Kontakt zu bleiben, Allianzen zu schmieden oder darum, strategische Netzwerke aufzubauen. In den seltensten Fällen genügt es, Networking ausschließlich digital zu betreiben. Vielmehr eignen sich die sozialen Netzwerke dazu, um Kontakte mit Menschen anzubahnen, mit denen man sich dann beispielsweise zum Lunch trifft, um eine persönliche Verbindung herzustellen.
Auch wenn wir inzwischen gelernt haben, die Arbeitswelt nur noch online stattfinden zu lassen, sollte man nicht vergessen, dass sich analoge und digitale Kanäle ergänzen sollten. In den letzten Jahren haben die beruflichen Plattformen sicher an Bedeutung gewonnen. Dennoch sollten die Anstrengungen, die man hier unternimmt, als Mittel zum Zweck verstanden werden. Das Ziel ist schließlich nicht, alle Profile mit Content und die Kontaktlisten zu füllen auszustatten. Die Inhalte und Themen, mit denen wir uns online präsentieren, sind vielmehr das Tool, mit dem wir Networking betreiben.
5 Networking-Hacks, die jede/r Unternehmer:in kennen sollte!
#1 Networking-Hack: Qualität statt Quantität
Im entscheidenden Moment ist nicht wichtig, wie viele Kontakte sich in meiner Liste befinden, sondern ob der richtige Kontakt dabei ist. Ein Netzwerk besteht aus Beziehungen zu Menschen. Das heißt, dass es auch die zwischenmenschliche Chemie stimmen muss, Beziehungen gepflegt werden müssen und man die Bereitschaft mitbringt, andere zu unterstützen. In der Masse ist Beziehungspflege auf diesem Niveau nicht möglich. Darum ist nicht die Anzahl der Kontakte entscheidend, sondern deren Qualität.
#2 Networking-Hack: Ins Netzwerk investieren, bevor man es braucht
Viele Menschen denken an ihr Netzwerk, wenn es zu spät ist. Netzwerkkontakte sollten einem nicht erst dann einfallen, wenn man auf der Suche nach einem neuen Job ist oder Hilfe braucht. Das sind vielmehr die Situationen, in denen es sich zeigt, ob man zuvor in das eigene Netzwerk investiert hat. Ein gutes Netzwerk zeigt sich in der Not.
Nachhaltiges Netzwerken ist heute wichtiger denn je. Denn die neue Arbeitswelt ist vom Wandel geprägt. Karrieren verlaufen heute anders als noch vor einer Generation. Was früher der Erwerb von Wissen war, ist heute die Fähigkeit, netzwerken zu können. Für unser Erwerbsleben und darüber hinaus werden Netzwerke immer wichtiger.
#3 Networking Hack: Sichtbarkeit ist das A und O beim Netzwerken
Ob online oder offline – Sichtbarkeit im eigenen Netzwerk ist das A und O. Darum sollte man regelmäßig überprüfen, ob man bei den eigenen Kontakten sichtbar ist und mit welchen Themen. Wenn Menschen nicht erfahren, wofür man steht, was einen auszeichnet oder womit man sich inhaltlich beschäftigt, wird auch niemand aktiv Kontakt aufnehmen oder inhaltlich an die eigenen Themen anknüpfen können.
Nutze das Intranet, Meetings aber auch Lunch-Treffen, um zu erläutern, womit Du Dich beruflich auseinandersetzt, was Du gestaltest und was Deine Ziele sind. Das bedeutet nicht, sich ständig einzubringen, wenn es nichts zu sagen gibt. Finde vielmehr Deine Anlässe, bei denen Du Deine Expertise deutlich machen und Deine Themen einbringen kannst.
#4 Networking Hack: In der Krise zeigt sich, wer wirklich Teil deines Netzwerks ist
Jeder Erfolg braucht eine Krise und jedes Netzwerk einen Shitstorm. Denn erst in der Krise, wenn es darum geht, Position zu beziehen und jemanden zu unterstützen, zeigt sich, ob man es ernst meint oder ob es jemandem nur um Opportunität ging. Auch wenn Krisen niemals angenehm sind, so bieten sie – im besten Fall – doch die Gelegenheit, in Dialog zu treten, Stellung zu beziehen und den Diskurs auszuhalten.
Wer einen Shitstorm abbekommt, hat eine Sache schon einmal richtig gemacht: nämlich den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Denn besonders Unternehmen haben massive Angst vor Shitstorms und verharren lieber im Status quo und wagen nichts, was außerhalb der Norm liegt, um nicht anzuecken. Krisen sind jedoch immer auch eine Chance. Eine Chance zu lernen, mit Kritik umzugehen und eine Chance, die Belastbarkeit des eigenen Netzwerks unter Beweis zu stellen.
#5 Networking Hack: Netzwerken beruht auf Geben und Nehmen
Networking ist keine Einbahnstraße. Es ist nicht das Ziel, ein Netzwerk aufzubauen, damit einem möglichst viele Menschen helfen können oder sonst irgendwie nützlich sind. Ganz im Gegenteil: Netzwerke funktionieren dann besonders gut, wenn jeder bereit ist, mehr zu geben als zu nehmen. Es klingt wie ein eleganter Zaubertrick, denn wenn alle halten, haben alle am Ende des Tages in der Summe mehr als sie gegeben haben.
Nur nachhaltiges Netzwerken sorgt für die Notsituation vor
Dass ich heute beruflich da bin, wo ich bin, habe ich auch zu einem großen Teil meinem Netzwerk zu verdanken. Ich hatte das Glück Menschen in meinem Umfeld gehabt zu haben, die mir ein entsprechendes Verständnis von nachhaltigem Netzwerken vermittelt haben, und sich dies mit meiner Erfahrung und meinen Einsichten gedeckt hat. Netzwerken hatte für mich darum immer zugleich etwas Altruistisches als auch gleichzeitig etwas Strategisches, was auf Gegenseitigkeit und Langfristigkeit abzielt. Ich bin davon überzeugt, nur wenn Netzwerken frühzeitig und nachhaltig betrieben wird, kann es in Notsituationen funktionieren.