Die Arbeitswelt verändert sich rasant durch die zunehmende Integration künstlicher Intelligenz (KI). Dr. Joschka Hüllmann, Assistenzprofessor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Twente in den Niederlanden, hat auf dem d.velop summit spannende Einblicke in diese Entwicklungen gegeben. Anschließend hatten wir die Gelegenheit, ein Interview mit ihm über das Thema „Future of Work“ zu führen.
Dr. Joschka Hüllmann ist Assistenzprofessor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Twente in den Niederlanden. Seine Forschung konzentriert sich auf die Schnittstelle zwischen Mensch, Organisation und Technologie, insbesondere auf die Auswirkungen von IT-Innovationen auf den Arbeitsplatz.
Unser Interview mit Dr. Joschka Hüllmann bietet wertvolle Einblicke, wie Unternehmen und Mitarbeiter:innen sich auf die Zukunft der Arbeit vorbereiten und die Vorteile von KI nutzen können.
Future of Work: Veränderungen der Arbeitswelt und der Einfluss von KI
d.velop blog: Welche großen Veränderungen in der Arbeitswelt siehst du aufgrund der zunehmenden Integration von KI und wie beeinflussen diese die Zukunft der Arbeit?
Dr. Joschka Hüllmann: Die Arbeitswelt wird durch KI-Lösungen insgesamt produktiver, mit Schätzungen von bis zu +1 % auf die globale Wirtschaftsleistung über die nächsten 10 Jahre. In einzelnen Branchen zeigen Studien sogar eine Produktivitätssteigerung von bis zu 40 %. Dementsprechend steigt der Bedarf an KI-Expertise und Arbeitnehmer:innen mit entsprechender quantitativer Expertise (z.B. Data Scientists, Informatiker, Mathematiker) werden stärker gefragt sein als zuvor.
Das heißt aber nicht, dass jeder KI-Experte werden muss. KI-Lösungen werden zwar einige Tätigkeitsprofile umfassend verändern, aber für die meisten Menschen werden KI-Lösungen einfach Teil des Arbeitsalltags. Diese Menschen werden zukünftig während ihrer Arbeit mit KI-Lösungen interagieren, die als Werkzeug – wie auch andere IT-Systeme zuvor – einen Teil der Arbeitstätigkeiten erleichtern.
d.velop blog: Wie wird Künstliche Intelligenz die Art und Weise verändern, wie wir unsere täglichen Aufgaben und Arbeitsprozesse gestalten?
Dr. Joschka Hüllmann: Künstliche Intelligenz wird in viele Aufgaben und Arbeitsprozesse integriert werden und alltäglicher Bestandteil der Arbeit werden. Diese Integration kann für Menschen sichtbar sein, aber auch unsichtbar. Viele KI-Lösungen arbeiten nämlich im Hintergrund, ohne dass die Benutzeroberfläche eines IT-Systems dies zwangsläufig vermuten lässt.
Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Arten der Integration. Wir unterscheiden hier Automatisierung, Augmentierung, oder Unterstützung. Bei Automatisierung übernimmt eine KI-Lösung eine Menge an Aufgaben vollständig, so dass Aufgaben für den Menschen wegfallen und die Person sich auf andere, ggf. wichtigere und kreativere Aufgaben fokussieren kann. Bei einer Augmentierung übernimmt die KI-Lösung Aufgaben teilweise, z.B. der Anwendungsentwickler kann sich Code generieren lassen, muss diesen aber noch prüfen, anpassen und integrieren. Trotzdem hat die Person mehr Zeit sich auf Themen wie Architektur und Schnittstellen zu konzentrieren. Bei Unterstützung bietet die KI-Lösung Informationen an, die Menschen bei der Erledigung ihrer Aufgaben oder bei Entscheidungen helfen. Zum Beispiel profitieren Vertriebsmitarbeiter:innen von Vorhersagen über Kundenverhalten.
Automatisierung bezieht sich auf die vollständige Übernahme von Aufgaben durch KI, wodurch menschliche Tätigkeiten ersetzt werden.
Augmentierung bedeutet, dass KI menschliche Arbeit unterstützt, indem sie Teilaufgaben übernimmt, während der Mensch weiterhin die Kontrolle behält.
Unterstützung bedeutet, dass KI Informationen und Hilfestellungen bereitstellt, um menschliche Entscheidungen zu erleichtern, ohne die Aufgabe vollständig zu übernehmen.
Einfluss von KI auf flexible Arbeitsmodelle und neue Möglichkeiten
d.velop blog: Wie beeinflusst KI flexible Arbeitsmodelle wie Remote Work und flexible Arbeitszeiten und welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich dadurch?
Dr. Joschka Hüllmann: Das ist eine spannende Frage, zu der mir keine dezidierten Studien bekannt sind. Aus den Möglichkeiten der KI lässt sich schließen, dass durch Automatisierungspotenziale auch bei physischen Tätigkeiten, eine Steuerung aus der Ferne möglich wäre. Gleichzeitig fallen aber auch neue Tätigkeiten zur Wartung der KI-Systeme vor Ort an, die wiederum eine Anwesenheit erfordern können. In Summe erwarte ich in nächster Zeit keinen direkten Einfluss von KI-Lösungen auf Arbeitszeit oder Remote Work Modelle, da Produktivitätszuwächse abgeschöpft werden.
Auswirkungen der KI auf verschiedene Berufsfelder
d.velop blog: Welche Berufe und Aufgaben werden deiner Meinung nach am stärksten von der KI-Automatisierung betroffen sein und wie können sich Arbeitnehmer:innen darauf vorbereiten?
Dr. Joschka Hüllmann: Hierzu gibt es diverse Studien. Sowohl Wissens- als auch physische Arbeiten werden von KI betroffen sein, insbesondere dort, wo es Routineaufgaben gibt. Eine KI ist dann gut geeignet, wenn es klare definierte
- Eingabe- und Ausgabeparameter gibt,
- es viele Daten gibt, um ein KI-Modell zu bauen und
- es entweder eine Fehlertoleranz gibt oder klar definierte Metriken zur Qualitätssicherung.
Betroffene Routineaufgaben aus der Wissensarbeit sind dann z.B. Dateneingabe oder Sachbearbeitung. In der physischen Arbeit kommt KI zusammen mit Robotik am Fließband zum Einsatz und kann dort Tätigkeiten automatisieren oder augmentieren.
Mit neuen Lösungen wie ChatGPT lassen sich in der Wissensarbeit auch nicht-routine Tätigkeiten unterstützen, z.B. kreative Aufgaben wie Programmieren, Texte schreiben und PowerPoints erstellen.
Für nicht-routine, physische Arbeiten sind mir keine KI-Lösungen bekannt. Handwerk, Baugewerbe und Co. werden sich meines Wissens nach keine Sorgen machen müssen.
Ebenfalls müssen sich die meisten betroffenen Arbeitnehmer:innen keine Sorgen, da KI selten 100 % der Tätigkeit übernehmen wird. Aktuell gibt es die Meinung, dass für 80 % der Tätigkeiten 10 % der Aufgaben betroffen sein werden, sodass KI primär eine Arbeitserleichterung bedeutet.
Entwicklung der notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse für den Umgang mit KI
d.velop blog: Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter:innen die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit KI entwickeln?
Dr. Joschka Hüllmann: Für die Einführung von KI-Lösungen ist Change Management zentral, da sich KI-Lösungen in einigen Attributen von klassischen IT-Systemen unterscheiden. Insbesondere, da KI-Lösungen auf Wahrscheinlichkeitsberechnung beruhen und deswegen qua Definition Fehler und Unsicherheiten beinhalten, ist ein präventives Erwartungsmanagement wichtig. Auch sollten Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen die Angst vor KI nehmen, da KI eben nicht alle ersetzt, sondern vor allem eine Arbeitserleichterung darstellt.
Weiterhin gilt es je nach KI-Lösung ein Upskilling, Reskilling, oder Deskilling zu implementieren. Hierfür eignen sich eine Vielzahl an formellen als auch informelle Lehrformaten. Für Anwender:innen reicht ein grobes Verständnis, wie KI-Lösungen funktionieren und was es bedeutet, dass diese auf Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhen. Kein Anwender muss Statistik oder KI-Experte werden, um es effektiv zu nutzen. Für Entwickler:innen und Expert:innen im Unternehmen hilft es, die notwendigen Anforderungen an Daten, Algorithmen und Schnittstellen zu erlernen.
Future of Work: Anpassung von Führungskräften und Unternehmensstrategien
d.velop blog: Wie müssen sich Führungskräfte und Unternehmensstrategien anpassen, um die Vorteile von KI in der Zukunft der Arbeit voll auszuschöpfen?
Dr. Joschka Hüllmann: KI-Innovationen wirken auf zwei Weisen: Erstens gibt es Potenziale, die existierende Wertschöpfung zu optimieren, zum Beispiel durch Automatisierung und einhergehender Kostensenkung oder Qualitätsverbesserung. Zweitens gibt es Potenziale, neue, komplementäre Wertschöpfung zu generieren. Stichwort: Hybride Wertschöpfung mit Smart Services oder Produkt-Dienstleistungs-Systemen.
Für beides müssen Führungskräfte in die Analyse gehen, was für ihr Geschäft Sinn macht. Ein einfaches Werkzeug zur Selbstanalyse ist zum Beispiel das „KI-Service Canvas“ des Kollegen Prof. Dr. Nils Urbach am Fraunhofer-Institut. Ebenso gibt es kommerzielle Anbieter und Beratungshäuser, die KI-Readiness Checks und Unterstützung bei der Entwicklung von KI-Strategien anbieten wie zum Beispiel die Strategien GmbH aus Osnabrück. Alternativ gibt es Angebote der Bundesländer zum interorganisationalen Austausch wie zum Beispiel die DigitalHubs in Nordrhein-Westfalen, wo man sich über KI Potenziale informieren und austauschen kann.
Meine Empfehlung wäre zeitnah in eine entsprechende Analyse zu gehen, da KI-Lösungen mittlerweile eine „Commodity“, also einfach am Markt erhältlich sind. Das heißt, man muss nicht zwangsläufig selbst die hohen Entwicklungskosten des „KI Trainierens“ tragen.
Die Zukunft ist jetzt! KI als Motor des modernen Dokumentenmanagements.