Es gibt eine riesige Menge an technischen Dokumenten, wie zum Beispiel Stücklisten, Schaltpläne, Prüfberichte oder Wartungsanleitungen, die Hersteller von Maschinen und Anlagen beim Verkauf einer neuen Maschine an ihre Kunden schicken. Insbesondere die digitale Bereitstellung von Dokumentationen stellt Hersteller oft vor Herausforderungen, wie zum Beispiel der Frage: Wie große Mengen an Dateien in einer sinnvollen und nutzbaren Struktur an den Betreiber übergeben werden können. Bis dato verfolgen Hersteller meist einen individuellen Ansatz bei der Zusammenstellung von Dateipaketen, die den spezifischen Anforderungen des Betreibers entsprechen. Das Problem: Die fehlende Einheitlichkeit in der Aktenführung schmälert den Nutzen digitaler Dokumente stark. Dadurch wird der Zugang und die Einordnung eingereichter Dokumente unnötig erschwert. Einzelne Dokumente müssen oft mühsam aus überladenen Ordnersystemen herausgeholt und manuell in die Struktur von Betreibersystemen überführt werden. Was die VDI 2770 hierbei regelt und welche Relevanz diese im Rahmen der technischen Dokumentation hat, wird in diesem Artikel beschrieben.
Was ist die VDI 2770?
Der Verein Deutscher Ingenieure e.V. (VDI) wurde 1856 gegründet, verzeichnet heute mehr als 130.000 Mitglieder:innen und ist damit der größte technisch-wissenschaftliche Verein Europas. Um die digitale Dokumentation in der Prozessindustrie weitreichend zu standardisieren, hat der VDI-Fachbereich verfahrenstechnische Anlagen einen wichtigen Schritt unternommen und eine Richtlinie für die Bereitstellung von Dokumenten erarbeitet.
Die Richtlinie VDI 2770 wurde im April 2020 von der VDI – Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen veröffentlicht: Richtlinie VDI 2770 Blatt 1 „Betreiben verfahrenstechnischer Anlagen – Mindestanforderungen an digitale Herstellerinformationen für die Prozessindustrie – Grundlagen“. Die VDI 2770 verspricht eine deutliche Verbesserung der Dokumentationsorganisation, insbesondere in der Anlagen- und Verfahrenstechnik, in der das Gesamtsystem sehr komplex ist. Obwohl die Richtlinie aus einer Initiative der Prozessindustrie hervorgegangen ist, ist ihr Anwendungsbereich im Wesentlichen branchenunabhängig.
Welche Ziele verfolgt die Richtlinie VDI 2770?
Die VDI 2770 schafft die Grundlage für eine einheitliche digitale Dokumentation in der Prozessindustrie, mit dem Ziel, durch die Übergabe in einem standardisierten digitalen Format die Effizienz und Transparenz für alle Beteiligten zu erhöhen. Dokumenttaxonomien werden durch Standards, vorgeschriebene Metadaten für jedes Dokument, Dokumentstruktur und Dateiformat definiert. Die Übermittlung von Herstellerinformationen an Betreiber sollte demnach standardisiert werden, indem das Dateiformat und die Metadaten spezifiziert und eine feste Speicherstruktur definiert werden.
Ein einheitliches Metadatenmodell bildet die Grundlage für die automatische Übertragung von Dateien an Betreibersysteme. Dies spart nicht nur Zeit, sondern ist insbesondere bei sehr komplexen Systemdokumenten auch weniger fehleranfällig als der manuelle Zugriff auf die übertragenen Dateien.
Seit der Veröffentlichung der Richtlinie im Jahr 2020 hat sich die VDI 2770 zum branchenweit besten Leitfaden zur Digitalisierung technischer Dokumentation entwickelt. Sie soll daher auch als Grundlage für eine zukünftige internationale ISO/IEC-Standardisierung dienen.
Was genau regelt die VDI 2770?
Im Wesentlichen definiert die VDI 2770 folgende Aspekte in Bezug auf die digitale Bereitstellung technischer Dokumente:
- Dokumentenklassifizierung
- Satz fester Metadaten pro Dokument
- Aufbau des digitalen Dokumentationspakets
- Dateiformate
- Einstufung
Die übersichtliche Kategorisierung der Dokumente erleichtert das spätere Aufbewahren und Auffinden erheblich. Daher definiert die VDI 2770 vier Dokumentengruppen zur Klassifizierung, die weiter in zwölf Kategorien eingeteilt werden. Die Kategorien orientieren sich am Dokumenttyp oder Produktlebenszyklus technischer Güter. So können Informationen, die üblicherweise in der technischen Dokumentation stehen, unkompliziert klassifiziert werden.
Welche Rolle spielen Metadaten in der VDI 2770?
Die VDI 2770 stellt für jedes einzelne Dokument separate Metadatendateien im XML-Format zur Verfügung. Jedes Dokument wird von einem vordefinierten Metadatensatz begleitet, der wichtige Informationen für die Dokumentenarchivierung und den späteren Abruf enthält. Metadaten enthalten im Kern folgende Informationen:
- Eindeutige Erkennung des Dokuments mit einer bestimmten Domänenkennung
- Klassifizierung des Dokuments nach den bereits genannten Gruppen und Kategorien
- Referenz auf das Objekt und den Ersteller des Objekts
- Eindeutige Identifizierung der Dokumentversion durch einen Identifikator innerhalb der angegebenen Domäne
- Referenz auf den Autor des Dokuments
- Kurzbeschreibung des Dokuments mit Angabe von Titel, Abstract und Schlüsselwörtern
- Status des Dokuments während seines Lebenszyklus
- Dokumentverknüpfungen in anderen Dokumenten der Dokumentation
- Verweis auf die physische Präsentation des Dokuments
Die Metadaten basieren auf dem Informationsmodell des DIN EN 82045-2:2005-11 „Dokumentenmanagement – Teil 2: Metadaten und Informationsreferenzmodelle“ und des DIN EN 61355-1:2009-03 „Klassifikation und Kennzeichnung von Dokumenten für Anlagen, Systeme und Ausrüstungen – Teil 1: Regeln und Tabellen zur Klassifikation“.
In welcher Struktur sollen die Dateien gespeichert und übermittelt werden?
Für jedes Dokument sind mindestens zwei physische Dateien vorgesehen.
- PDF/A-Dateien mit tatsächlichen Dokumenteninhalten (z. B. Wartungsplänen)
- Mit Metadaten verknüpfte XML-Datei
Optional kann das Dokument auch als Datei gespeichert werden, die das Quellformat des Dokuments darstellt, z.B. Excel-Datei der Stückliste. Für jedes Dokument werden die einzelnen Dateien in einem ZIP-Container zu einem sogenannten Dokumentencontainer zusammengefasst. Das gesamte Dokument besteht somit aus vielen einzelnen ZIP-Containern. Diese einzelnen Container werden in einem eigenen Haupt-ZIP-Container gespeichert. Die erste Ebene enthält auch das Hauptdokument, das wie jedes andere Dokument aus einer PDF/A-Datei und zugehörigen Metadatendateien besteht. Eine PDF/A-Datei enthält eine menschenlesbare Liste einzelner Dokumente. Die XML-Datei referenziert dann alle Unterdokumente anhand der Dokument-ID. Durch dieses Vorgehen lassen sich auch Herstelleranweisungen für die einzelnen Teilsysteme der Anlage schnell und einfach in die Gesamtdokumentation integrieren.
Technische Dokumentationen für Maschinen und Anlagen müssen lesbar und langfristig durchsuchbar sein. Die VDI 2770 schreibt daher das Format PDF/A vor, das speziell für die Langzeitarchivierung digitaler Dokumente entwickelt wurde. Die Datenbereitstellung nach VDI 2770 erfüllt damit die relevanten regulatorischen und normativen Anforderungen an die langfristige Verfügbarkeit von Informationen.
Welche Relevanz hat die VDI 2770 für die technische Dokumentation?
Da die VDI 2770 branchenübergreifend angewendet werden kann, können Anlagenbetreiber die Erstellung und Bereitstellung der technischen Dokumentation nach VDI 2770 von ihren Lieferanten fordern. So ist die Richtlinie schon bei der Erfassung der technischen Dokumentation wichtig.
Wichtig ist, dass jedes Dokument nur einer Kategorie zugeordnet werden sollte. Dies lässt keine zusammengeführten Dokumente, zum Beispiel eine Kombination aus Bedienungs- und Wartungsanleitung, zu. Daher sollte sich die Konzeption und Entwicklung von VDI 2770 konformen Herstellerinformationen von vornherein an den zwölf Kategorien orientieren. Jedes Dokument wird dann entsprechend indexiert und mit einem international gültigen Identifikator gemäß der Richtlinie versehen.
Wie unterstützt ein Dokumentenmanagement-System im Rahmen der VDI 2770?
Ein integriertes Dokumentenmanagement-System (DMS) wird für Unternehmen zur zentralen Drehscheibe. Statt einzelner abteilungsabhängiger Datensilos, liegen alle Dokumente zentral und geordnet in einem System. Dabei kann die vorgegebene Struktur der VDI 2770 einfach erstellt, genutzt und ergänzt werden. Ob Wartungsprotokolle, Dokumentationen, Verträge oder Prüfprotokolle – das DMS ordnet jedes neue Dokument entsprechend einem gemeinsamen Nenner einer digitalen Akte zu. Üblicherweise erfolgt eine Differenzierung der Akten anhand der Produkt-, Kunden- oder Lieferantenzugehörigkeit. So liegen alle Dokumente zu einem bestimmten Produkt gebündelt an einem digitalen Ort.
Vorteile eines DMS
- Übernahme der Struktur der VDI 2770
- Übernahme und Ergänzung der Metadaten
- Intelligente Suche und Bündelung von Informationscontainern
- Unternehmensübergreifende Kollaboration
- Rechtssichere Archivierung (DSGVO)
- Versionsmanagement
- Prozessautomatisierung durch Workflows
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