Interoperable Europe Act – Die Lösung für die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland? 

Veröffentlicht 24.10.2024

Tobias Neumann Vice President Public Sector d.velop

Beitragsbild Interoperabilität

Am 11. April 2024 ist die Verordnung für ein interoperables Europa (engl.: Interoperable Europe Act, kurz: „Interoperabilitäts-VO“) in Kraft getreten. Diese Verordnung gilt für Einrichtungen der Union und öffentliche Stellen der Mitgliedstaaten, die transeuropäische digitale öffentliche Dienste regeln, bereitstellen, verwalten oder erbringen. Ab dem Jahr 2025 sind deutsche Behörden verpflichtet, vor jeder Entscheidung über neue oder erheblich geänderte verbindliche Vorgaben im Zusammenhang mit transeuropäischen digitalen Verwaltungsdiensten die möglichen Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Interoperabilität zu prüfen und zu bewerten. 

Von diesem Gesetz sollen 150 Millionen in einer EU-Grenzregion lebende Menschen, 2 Millionen zwischen den Mitgliedsstaaten pendelnde Personen sowie öffentliche Verwaltungen und Unternehmen der EU profitieren.1

Bedeutung des Interoperable Europe Act für die digitale Dekade der EU

Der Interoperable Europe Act spielt eine wesentliche Rolle bei der Verwirklichung von Zielen der digitalen Dekade der EU, wie beispielsweise die vollständige Online-Verfügbarkeit zentraler öffentlicher Dienstleistungen bis zum Jahr 2030. Ein funktionierender digitaler Binnenmarkt erfordert Interoperabilität, da sie eine effizientere Umsetzung digitaler Maßnahmen in verschiedenen Bereichen der öffentlichen Verwaltung ermöglicht – von der Justiz über das Gesundheitswesen bis hin zum Verkehrswesen. 

Ich freue mich sehr, dass mit dem Gesetz über ein interoperables Europa die Forderungen nach besseren, interoperablen digitalen öffentlichen Diensten in der EU erfüllt werden. Dieses Gesetz bildet die Grundlage für einen wirksamen, vernetzten öffentlichen Sektor in der EU und für einen inklusiven, transparenten und verantwortungsvollen digitalen Wandel. Sie verbessert die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Verwaltungen in den Mitgliedstaaten und erweitert den Zugang zu digitalen grenzüberschreitenden öffentlichen Diensten in der EU, sodass niemand zurückgelassen wird.

Johannes Hahn, der für Haushalt und Verwaltung zuständige EU-Kommissar

Der Rechtsakt zielt darauf ab, die gemeinsame Nutzung und Wiederverwendung von Lösungen sowie den Datenaustausch zwischen Verwaltungen zu erleichtern, indem unnötige bürokratische Hürden im Zusammenhang mit rechtlichen (wie widersprüchliche Vorschriften), semantischen (wie fehlende Datenfelder), organisatorischen (wie Zuständigkeiten in den Verwaltungen der sogenannten Nachweisgeberländer) und technischen (wie IT-Schnittstellen) Interoperabilitätsproblemen abgebaut werden.

Dadurch sollen sowohl Kosten als auch Zeitaufwand für die öffentlichen Verwaltungen, Bürger:innen und Unternehmen verringert werden. Gleichzeitig wird angestrebt, Bürokratie und Doppelstrukturen zu reduzieren. Besonders wichtig ist die Interoperabilität der öffentlichen Verwaltungen auch für den Zugriff auf Dokumente und Register in einem der EU-Mitgliedstaaten.

Definition Interoperabilität

Der Begriff Interoperabilität leitet sich von den lateinischen Wörtern „inter“ (bedeutet „zwischen“), „opera“ (bedeutet „Arbeit“) und dem Suffix „-abilität“ (bedeutet „Fähigkeit“) ab.

Im öffentlichen Sektor bezieht sich Interoperabilität auf die Fähigkeit von Verwaltungen, effizient zusammenzuarbeiten, Informationen untereinander auszutauschen und öffentliche Dienstleistungen über Länder-, Sektor- und Organisationsgrenzen hinweg nahtlos bereitzustellen. Sie ermöglicht auch den sicheren Datenaustausch und -zugang über verschiedene Verwaltungsebenen hinweg, um die Politikentwicklung und -Umsetzung zu verbessern. Dabei geht es hauptsächlich darum, dass verschiedene Akteure trotz organisatorischer oder geografischer Distanzen gemeinsam Ziele erreichen können.

Grenzüberschreitende Interoperabilität im Interoperable Europe Act

Grenzüberschreitende Interoperabilität in öffentlichen Verwaltungen der EU bezieht sich auf die Fähigkeit von öffentlichen Einrichtungen der Mitgliedstaaten und der Union, über Landesgrenzen hinweg miteinander zu kooperieren. Dabei erfolgt der Austausch von Daten, Informationen und Wissen über digitale Prozesse, die den rechtlichen, organisatorischen, semantischen und technischen Anforderungen für diese Interaktionen entsprechen.

In der Praxis bedeutet grenzüberschreitende Interoperabilität, dass digitale öffentliche Dienste in der Lage sind, Daten über Länder- und Sektorgrenzen hinweg auszutauschen und so den Bürgern:innen und Unternehmen ein verbessertes Nutzererlebnis zu bieten. Fehlt diese Interoperabilität, bleiben die Dienste isoliert, Daten sind nicht zugänglich, und Bürger:innen sowie Unternehmen müssen deutlich mehr Zeit für die Interaktion mit Behörden aufwenden. Eine verbesserte grenzüberschreitende Interoperabilität kann dazu führen, die öffentlichen Verwaltungen auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene miteinander zu verbinden.

Was sind „transeuropäische digitale öffentliche Dienste“?

Transeuropäische digitale öffentliche Dienste sind digitale Dienstleistungen, die entweder von EU-Einrichtungen oder von öffentlichen Stellen innerhalb der Union bereitgestellt werden. Diese Dienste ermöglichen eine grenzüberschreitende Interaktion zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen Mitgliedstaaten und EU-Einrichtungen oder zwischen verschiedenen EU-Einrichtungen selbst.

Beispiele für solche transeuropäische digitale öffentliche Dienste sind Dienste, die durch grenzüberschreitenden Datenaustausch Folgendes ermöglichen:

  • gegenseitige Anerkennung von akademischen Diplomen oder beruflichen Qualifikationen
  • den Austausch von Fahrzeugdaten für die Straßenverkehrssicherheit
  • den Zugang zu Sozialversicherungs- und Gesundheitsdaten
  • den Zugang zu sogenannten Single-Window-Systemen (ein zentrales System, mit dem man alle erforderlichen Informationen und Dokumente für behördliche Verfahren über eine einzige Schnittstelle elektronisch einreichen kann)
  • den Austausch von Informationen im Zusammenhang mit Steuern und Zöllen
  • der Vergabe öffentlicher Aufträge, digitaler Führerscheine oder Handelsregister
  • alle Dienste, die den Grundsatz der einmaligen Erfassung für den Zugang zu grenzüberschreitenden Daten und deren Austausch umsetzen

Ein zentraler Aspekt dieser Dienste ist die Anwendung des „Once-Only“-Prinzips, das den Zugang zu und den Austausch von grenzüberschreitenden Daten vereinfacht. Dazu gehören auch Dienste, die die sogenannte EU-Digitale Geldbörse nutzen, etwa zur Identitätsauthentifizierung, da diese bereits einen automatisierten grenzüberschreitenden Datenaustausch ermöglichen.

Wie kann ein höheres Maß an Interoperabilität mithilfe des Interoperable Europe Act erreicht werden?

Ein höheres Maß an Interoperabilität kann nicht allein durch technische Maßnahmen erreicht werden. Es bedarf auch:

  • Absprachen und etablierter Prozesse zwischen Organisationen
  • Einheitlicher Datenbeschreibungen
  • Gesetze, die den Datenaustausch erlauben
  • Einer langfristig angelegten strukturierten Zusammenarbeit

Der interoperable europe act konzentriert sich auf alle Ebenen der Interoperabilität, die berücksichtigt werden müssen:

  • Technische (z. B. IT-Schnittstellen)
  • Semantische (z. B. gleiche Bedeutung und Struktur von Daten)
  • Organisatorische (z. B. abgestimmte Geschäftsprozesse)
  • Rechtliche (z. B. Zusammenarbeit von Organisationen mit unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen)

Wer wird von dem Interoperable Europe Act profitieren?

Institutionen, Organisationen, Bürger:innen und Unternehmen sollen am meisten von der neuen Verordnung profitieren, denn sie sind diejenigen, die die vernetzten digitalen öffentlichen Dienste nutzen sollen.   

Die EU verspricht sich von der Interoperabilität: 

  • wirtschaftliches Wachstum 
  • größere strategische und politische Unabhängigkeit 
  • größeres Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Regierungen 
  • jährliche Einsparungen von bis zu 5 Milliarden Euro 
  • Zeitersparnis bei der Interaktion mit staatlichen Diensten  

Zudem soll die EU-Verordnung öffentliche Dienste zugänglicher, vertrauenswürdiger und effizienter machen. 

Das Gesetz verfolgt einen Ansatz, der in vier zentrale Pfeiler unterteilt ist: 

  • Einrichtung eines mehrstufigen Governance-Rahmens: Dieser Rahmen dient der Festlegung der Interoperabilitätsagenda und der Identifizierung gemeinsamer Interoperabilitätslösungen. Er wird vom Interoperable Europe Board geleitet und durch die Interoperable Europe Community unterstützt. 
  • Einführung verpflichtender Interoperabilitätsbewertungen: Ab Januar 2025 müssen interoperable öffentliche Dienste einer Bewertung unterzogen werden. Diese Maßnahme hilft öffentlichen Stellen, bereits in der Entwurfsphase grenzüberschreitende Interoperabilitätsaspekte zu berücksichtigen. Der zuständige Ausschuss und die Europäische Kommission stellen dafür Leitlinien und Werkzeuge bereit. Ein Pilotprojekt mit 50 teilnehmenden öffentlichen Verwaltungen aus verschiedenen Ebenen der EU wird die Bewertungsrichtlinien testen. 
  • Förderung der gemeinsamen Nutzung und Wiederverwendung von Interoperabilitätslösungen: Dies wird durch das „Interoperable Europe Portal“ unterstützt, welches als zentrale Anlaufstelle für Lösungen dienen soll. Das Portal wird auf der Grundlage des bestehenden Joinup-Portals entwickelt. 
  • Erhöhte Innovations- und Politikunterstützung: Dies umfasst Schulungen, regulatorische Sandkästen für Experimente, GovTech-Initiativen und Projekte zur Unterstützung der politischen Umsetzung, um innovative Lösungen zu entwickeln, zu testen und zu verbreiten. 

Orientierung im komplexen Labyrinth der Gesetze: Mit dem DMS das OZG 2.0, EGovG, RegMoG & Co. rechtssicher umsetzen

Welche Aufgabe hat der Beirat des interoperable europe act?

Die Verordnung sieht die Einrichtung eines Beirats für ein interoperables Europa vor, der sich aus den zentralen Behörden der Mitgliedstaaten, die für den digitalen Wandel zuständig sind, sowie der Europäischen Kommission zusammensetzen wird. Das Gremium wird aus Vertretern der EU-Mitgliedstaaten, der Kommission, des Ausschusses der Regionen sowie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses bestehen. Die Mitgliedstaaten, vertreten durch ihre wichtigsten Akteure, insbesondere die obersten IT-Beauftragten der Regierungen, spielen dabei eine zentrale Rolle.

Der Beirat hat unter anderem die Aufgabe, gemeinsame und weiterverwendbare Interoperabilitätslösungen sowie Ressourcen zu identifizieren, Unterstützungs- und Innovationsmaßnahmen zu vereinbaren und den Europäischen Interoperabilitätsrahmen (EIF) zu aktualisieren. Der Konsens, der zwischen diesen Akteuren erzielt wird, soll dazu beitragen, Umsetzungsmaßnahmen und Interoperabilitätslösungen zu beschleunigen und zu fördern.

Wer kann Mitglied der Gemeinschaft werden?

Die Gemeinschaft „Interoperables Europa“ wird als offenes Forum dienen, in dem Rückmeldungen gesammelt, Nutzerbedürfnisse erfasst und Prioritäten für die Weiterentwicklung der Interoperabilität in der EU festgelegt werden.

Diese Plattform wird sowohl öffentliche als auch private Akteure, einschließlich Bürger:innen, einbinden, die Fachwissen im Bereich der grenzüberschreitenden Interoperabilität haben. Die Beteiligten können aus unterschiedlichen Bereichen stammen, etwa aus Hochschulen, Forschungs- und Innovationsinstituten, dem Bildungssektor, der Normung und Spezifikationen, Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen auf allen Ebenen.

Interoperabilitätsbewertungen: Zweck, Durchführung und Unterstützung

Was sind Interoperabilitätsbewertungen?

Die Interoperabilitätsbewertungen sollen die gemeinsame Nutzung grenzüberschreitender Daten fördern und die Qualität sowie die Zugänglichkeit öffentlicher Dienste verbessern.

Diese Bewertungen dienen als Werkzeug, um verschiedene Aspekte der grenzüberschreitenden Interoperabilität zu überprüfen und Hindernisse bereits in der Entwurfsphase von Maßnahmen und öffentlichen Diensten zu identifizieren. Darüber hinaus ermöglichen sie es, bestehende Lösungen zu erkennen, die potenziell wiederverwendet werden können, um sowohl Kosten als auch Komplexität zu minimieren.

Wer muss die Interoperabilitätsbewertung durchführen?

Öffentliche Stellen und Einrichtungen der Union sind verpflichtet, vor der Festlegung neuer oder wesentlich geänderter verbindlicher Anforderungen an transeuropäische digitale öffentliche Dienste, die die grenzüberschreitende Interoperabilität oder den Datenfluss dieser Dienste beeinflussen, eine Interoperabilitätsbewertung durchzuführen.

Die Institution, die die verbindliche Entscheidung trifft – sei es eine politische, eine IT-Investitionsentscheidung oder eine Beschaffungsentscheidung mit digitalen Anforderungen – ist für die Durchführung der Interoperabilitätsbewertung verantwortlich. In Fällen, in denen eine solche Bewertung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, werden die Einrichtungen der Union und die öffentlichen Stellen ermutigt, Interoperabilitätsbewertungen durchzuführen und die entsprechenden Instrumente freiwillig zu nutzen.

Wie wird die Durchführung von Interoperabilitätsbewertungen unterstützt?

Der Beirat für ein interoperables Europa hat den Auftrag, bis spätestens 12. Januar 2025 Leitlinien für die Inhalte der Interoperabilitätsbewertungen zu entwickeln. Die Kommission wird benutzerfreundliche technische Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die den Verwaltungen bei der Durchführung dieser Bewertungen helfen sollen. Zudem wird ein Online-Tool entwickelt, das eine einfache und intuitive Schnittstelle zur Erstellung und Veröffentlichung von Interoperabilitätsbewertungsberichten bietet.

Diese Werkzeuge sollen, soweit es möglich ist, so gestaltet werden, dass sie sich nahtlos in bestehende Verfahren und Prozesse integrieren lassen. Der Bericht muss in einem maschinenlesbaren Format veröffentlicht werden, das auch für Überwachungszwecke genutzt werden kann. Ein Mitgliedstaat, insbesondere die zuständigen Behörden, hat die Möglichkeit, über die internen Ressourcen und die Zusammenarbeit seiner öffentlichen Stellen zu entscheiden, um die Durchführung dieser Interoperabilitätsbewertungen zu gewährleisten.

In welchen Bereichen zeigt die verbesserte Interoperabilität ihre Wirkung? 

Eine verbesserte Interoperabilität in der öffentlichen Verwaltung zeigt ihre Wirkung besonders in Bereichen, die eng mit staatlichen Institutionen verknüpft sind. Dazu zählen: 

  • Justiz und Inneres 
  • Steuern und Zoll 
  • Verkehr 
  • Energie 
  • Umwelt und Landwirtschaft 
  • Gesundheitswesen 

In Krisenzeiten wird die Bedeutung der Interoperabilität besonders deutlich, denn sie erhöht die Resilienz und Reaktionsfähigkeit von Organisationen und Institutionen. Darüber hinaus ist die Interoperabilität zwischen verschiedenen Sektoren von großer Bedeutung, da viele öffentliche Dienste Daten aus unterschiedlichen Politikbereichen nutzen. 

Welche Probleme verursacht eine unzureichende Interoperabilität zwischen öffentlichen Verwaltungen?

Für die effektive Nutzung und Bereitstellung öffentlicher Dienste benötigen Verwaltungen umfassende Informationen. Es ist entscheidend, dass öffentliche Verwaltungen Bürger:innen und Unternehmen nicht dazu „zwingen“, dieselben Informationen immer wieder neu anzugeben. Um dies zu erreichen, müssen sie Zugang zu Registern und anderen Datensammlungen haben, die auf verschiedenen Ebenen des öffentlichen Sektors – lokal, regional, national oder europäisch – eingerichtet wurden. Wenn die Interoperabilität unzureichend ist, bleiben diese Datenquellen unzugänglich. Dies wiederum führt zu unnötig kostspieligen und zeitintensiven Verwaltungsverfahren sowie höheren Aufwänden.

In der Praxis sind Bürger:innen und Unternehmen häufig gezwungen, weiterhin PDF-Dokumente als Nachweise einzureichen, anstatt von vollständig automatisierten und durchgängig digitalen Prozessen zu profitieren. Darüber hinaus verhindert eine geringe Interoperabilität, dass öffentliche Verwaltungen digitale Lösungen untereinander austauschen können. Ein Mangel an Interoperabilität schränkt zudem die Innovationsfähigkeit der öffentlichen Verwaltungen.

Warum ist der Interoperable Europe Act zur Verbesserung der Interoperabilität in der EU erforderlich?

Die EU und die Mitgliedstaaten arbeiten seit über zwei Jahrzehnten an der Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen durch digitale Transformation. In ihrer Mitteilung „Digitaler Kompass 2030: Der europäische Weg ins digitale Jahrzehnt“ betonte die Kommission die Dringlichkeit, die Digitalisierung öffentlicher Dienste bis 2030 zu beschleunigen, insbesondere durch die Sicherstellung der Interoperabilität auf allen Verwaltungsebenen und zwischen den öffentlichen Dienstleistungen. Ein zentrales Ziel der EU ist es, bis 2030 alle wesentlichen öffentlichen Dienstleistungen zu 100 % online verfügbar zu machen. Mit der Verordnung Interoperable Europe Act soll ein wesentlicher Beitrag zu den Zielen der Union geleistet werden.

Wie kooperiert der Interoperable Europe Act mit dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip und der Autonomie der lokalen öffentlichen Verwaltungen?

Der Rechtsakt steht im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip, da er nur dann auf EU-Ebene Maßnahmen ergreift, wenn die Mitgliedstaaten die angestrebten Ziele nicht eigenständig erreichen können. Dieses Prinzip besagt, dass die EU nur dann aktiv werden sollte, wenn der Umfang oder die Auswirkungen einer Maßnahme auf EU-Ebene effektiver bewältigt werden können.

Die Mitgliedstaaten und andere Beteiligte haben erkannt, dass ein höheres Maß an europäischer Interoperabilität erforderlich ist. Der Rechtsakt legt daher seinen Fokus auf die Förderung der grenzüberschreitenden Interoperabilität und den Governance-Rahmen zur Festlegung gemeinsamer Interoperabilitätslösungen. Dabei wird keine Harmonisierung der grundlegenden Arbeitsweisen der öffentlichen Verwaltungen gefordert. Auch die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Definition ihrer öffentlichen Dienstleistungen bleibt unangetastet.

Dies sichert die Autonomie lokaler öffentlicher Verwaltungen und ermöglicht es den Mitgliedstaaten, ihre spezifischen Bedürfnisse und Gegebenheiten zu berücksichtigen, während gleichzeitig ein gemeinsames Ziel der Interoperabilität verfolgt wird.

Auswirkungen des Interoperable Europe Act auf öffentliche Verwaltungen

Die wichtigsten Pflichten der Mitgliedstaaten sollen darin bestehen:

  • Teilen von Interoperabilitätslösungen: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ihre eigenen Interoperabilitätslösungen für digitale Dienste mit anderen öffentlichen Stellen zu teilen.
  • Obligatorische Bewertungen: Vor der Einführung oder Änderung eines digitalen Systems, das (potenziell) Daten aus einem anderen Mitgliedstaat nutzt oder mit diesem austauscht, müssen die Mitgliedstaaten eine obligatorische Bewertung der Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Interoperabilität durchführen.
  • Benennung eines nationalen Koordinators bzw. einer nationalen Koordinatorin: Jeder Mitgliedstaat muss eine:n nationale:n Koordinator:in für Fragen der Interoperabilität im öffentlichen Sektor benennen, um die entsprechenden Prozesse zu unterstützen und zu steuern.
  • Überwachung der Interoperabilität: Die Mitgliedstaaten sind verantwortlich für die Überwachung des Maßes an Interoperabilität und müssen regelmäßig darüber Bericht erstatten.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen nicht über das erforderliche Maß hinaus und respektieren die verfassungsmäßigen Rechte sowie Freiheiten der öffentlichen Verwaltungen vollständig. Darüber hinaus wird darauf geachtet, bereits geschaffene und umgesetzte Infrastrukturen sowie Lösungen so weit wie möglich weiter zu nutzen.

Sind die vom Beirat getroffenen Interoperabilitätsvereinbarungen für die Mitgliedstaaten bindend?

Die vom Beirat für ein interoperables Europa getroffenen Interoperabilitätsvereinbarungen sind für die Mitgliedstaaten nicht rechtlich bindend. Um Offenheit für technischen Fortschritt zu gewährleisten, wird vermieden, spezifische Lösungen verpflichtend vorzuschreiben. Stattdessen setzt die Verordnung Anreize für die Mitgliedstaaten, sich an die vereinbarten Interoperabilitätslösungen zu halten. Diese Anreize umfassen Maßnahmen, wie z. B. die obligatorische Interoperabilitätsbewertung, die sicherstellen soll, dass neue oder geänderte digitale Systeme auf ihre grenzüberschreitende Kompatibilität geprüft werden.

Wie wirkt sich der Interoperable Europe Act konkret auf die deutschen Behörden aus?

Die EU-Verordnung Interoperable Europe Act könnten einen Einfluss auf alle Ebenen des öffentlichen Sektors in Deutschland haben – von den Kommunen über die Landesverwaltungen bis hin zu den Bundesbehörden.

Das Gesetz stellt deutsche Behörden vor die Herausforderung, ihre digitalen Systeme anzupassen und europäische Standards zu übernehmen. Dies betrifft sowohl die technische Ebene (z. B. Schnittstellen und Datenformate) als auch organisatorische und rechtliche Aspekte. Durch die Einführung dieser Standards wird Deutschland jedoch in die Lage versetzt, effizienter mit anderen EU-Staaten zusammenzuarbeiten, was besonders für Bürger:innen und Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, von großem Vorteil ist.

Welchen Herausforderungen könnten die öffentlichen Verwaltungen begegnen?

Eine Herausforderung für die EU und ihre Mitgliedstaaten könnte darin liegen, eine sichere und standardisierte technische Infrastruktur zu entwickeln und umzusetzen, die einen reibungslosen und effizienten Datenaustausch ermöglicht. Hierbei könnten fortschrittliche Technologien wie Dokumentenmanagement-Systeme, Cloudlösungen, APIs (Application Programming Interfaces) und Blockchain eine entscheidende Rolle spielen.

Ein zentrales Element, das zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen kann, ist die Integration eines leistungsfähigen Dokumentenmanagement-Systems (DMS), das die Anforderungen der Verordnung erfüllt. Hier sind fünf der wichtigsten Herausforderungen und entsprechende Lösungen, die durch ein DMS unterstützt werden können:

Heterogene IT-Systeme und Datenformate

Ein Dokumentenmanagement-System kann als zentrale Plattform fungieren, die verschiedene Datenformate vereinheitlicht und standardisiert. Moderne DMS-Lösungen bieten Funktionen zur Konvertierung von Dateiformaten und zur Einhaltung europäischer Standards für den Datenaustausch, wie z. B. PEPPOL für die elektronische Rechnungsstellung oder XML-basierte Formate. Durch die Implementierung eines DMS, das EU-weit genutzte Standards unterstützt, wird die technische Interoperabilität deutlich erleichtert.

Fragmentierung von uneinheitlichen Prozessen

Ein DMS kann einheitliche, automatisierte Workflows bieten, die sich an die Vorgaben der Verordnung anpassen. Dabei bleiben behördenspezifische Anforderungen durch Konfigurationsmöglichkeiten gewahrt. Durch die zentrale Steuerung von Dokumentenflüssen und die Automatisierung wiederkehrender Aufgaben (z. B. bei der Bearbeitung von Anträgen oder der Verwaltung von Akten) können Prozesse harmonisiert werden, ohne dass jede Behörde ihre Autonomie verliert.

Datenschutz und Datensicherheit

Ein modernes DMS bietet umfangreiche Sicherheitsfunktionen, wie etwa verschlüsselte Datenübertragung, rollenbasierte Zugriffskontrollen und detaillierte Audit-Trails, um alle Zugriffe und Bearbeitungen von Dokumenten zu protokollieren. So können Behörden sicherstellen, dass sensible Daten nur von autorisierten Personen eingesehen und bearbeitet werden. Zusätzlich kann ein DMS datenschutzrechtliche Anforderungen automatisiert umsetzen, beispielsweise durch automatische Löschfristen und die Möglichkeit, Daten bei Anfragen gemäß der DSGVO schnell bereitzustellen.

Integration in bestehende Strukturen

Ein DMS kann in bestehende IT-Infrastrukturen integriert werden, indem es offene Schnittstellen (APIs) für den Datenaustausch bietet. Dadurch können vorhandene Systeme wie E-Mail-Server, Fachanwendungen oder ERP-Systeme (z. B. SAP) angebunden werden, ohne dass ein kompletter Systemwechsel notwendig ist. Dies ermöglicht eine schrittweise Implementierung der neuen Prozesse, ohne den laufenden Betrieb zu unterbrechen.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Dokumentenfluss

Ein DMS, das europäische Interoperabilitätsstandards unterstützt, kann den Dokumentenfluss über Ländergrenzen hinweg automatisieren und sicherstellen, dass die Dokumente den rechtlichen und technischen Anforderungen entsprechen. Durch die Integration von elektronischen Signaturen und Zeitstempeln wird sichergestellt, dass Dokumente rechtsverbindlich und manipulationssicher übertragen werden. So können z. B. Anträge auf EU-weit gültige Zertifikate oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz- und Steuerangelegenheiten effizienter abgewickelt werden.

Fazit

Der interoperable europe act soll eine Lücke im europäischen Verwaltungsdigitalisierungsrecht schließen. Die Governance- und Verfahrensregeln ermöglichen den Digitalisierungsakteuren auf allen Ebenen der Verwaltung genügend Flexibilität, um die Anforderungen bedarfsgerecht und nach dem Stand der Technik mithilfe des Europäischen Interoperabilitätsrahmens (EIF) umzusetzen und weiterzuentwickeln.

Behörden tun gut daran, sich frühzeitig mit den Anforderungen der Verordnung und dem Europäischen Interoperabilitätsrahmen auseinanderzusetzen. Indem sie Interoperabilität als strategisches Handlungsfeld begreifen und sich operativ auf Interoperabilitätsprüfungen vorbereiten, können sie sicherstellen, dass ihre digitalen Verwaltungsdienste zukunftssicher und effizient gestaltet sind. Dies trägt nicht nur zur Verbesserung der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg bei, sondern unterstützt auch die Optimierung interner Prozesse und die Einhaltung europäischer Standards. Schlussendlich können sie die Effizienz steigern, die Transparenz erhöhen und die Interaktion zwischen Bürgern:innen, Unternehmen und Behörden erleichtern.