Leerstehende Gebäude in den Innenstädten und boomende E-Commerce-Unternehmen. Der Trend für die Zukunft des Einzelhandels scheint klar: Der E-Commerce fährt immer höhere Gewinne ein; der stationäre Handel bleibt dabei auf der Strecke.
Doch ist das wirklich so?! Verändertes Kaufverhalten, der Krieg in der Ukraine sowie die Corona-Krise haben die Entwicklung – hin zum E-Commerce – stark beeinflusst, doch zeigen sich mittlerweile auch wieder andere Tendenzen. Daher schauen wir im Folgenden hinter die Fassade des Trends, nehmen aktuelle Entwicklungen unter die Lupe, stellen den E-Commerce und den stationären Handel gegenüber und wagen zum Schluss eine Prognose, wer hierbei die Nase vorn hat. Ganz wichtig hierbei: Sämtliche Zahlen beziehen sich, sofern nicht anders dargestellt, auf Deutschland.
E-Commerce vs. stationärer Handel: Eine Einordnung
Definition
- E-Commerce = alle Transaktion, welche digital durchgeführt werden
- Stationärer Einzelhandel = fester Verkaufsort mit physischen Waren
Beginnen wir mit einer allgemeinen Definition: Der Handel übernimmt „die Aufgabe, räumliche, zeitliche, qualitative und quantitative Spannungen zwischen der Produktion und der Konsumtion auszugleichen“. Komprimiert bedeutet die zuvor weit gefasste Definition des Handels nichts anderes als der Austausch von Gütern oder Dienstleistungen. Dabei unterscheiden und vergleichen wir nachfolgend zwischen dem E-Commerce und dem stationären Handel.
Unter E-Commerce fallen diverse Transaktion, welche digital durchgeführt werden. Hierzu gehören der digitale Vertrieb physischer Waren, Dienstleistungen sowie digitale Medien. Bestellst du dir etwa online etwas bei deinem Lieblingsitaliener und leihst dir dann bei einem Streamingdienst ein Film aus, so fallen beide Transaktionen in den E-Commerce.
Der stationäre Einzelhandel zeichnet sich insbesondere durch den direkten Kontakt mit physischen Waren aus. Das jeweilige Unternehmen besitzt einen festen Verkaufsort, wodurch Interessenten:innen die Produkte vor Ort begutachten können. Der Artikel ist unmittelbar nach dem Kauf im eigenen Besitz und kann genutzt bzw. konsumiert werden.
Zahlen und Fakten zur Gesamtentwicklung des Einzelhandels
Um die Zukunft des Einzelhandels bewerten zu können, müssen wir zunächst auf die Entwicklung des E-Commerce und des stationären Handels schauen: Wird der E-Commerce-Umsatz relativ zum gesamten Einzelhandelsumsatz betrachtet, so lassen sich die Daten und Fakten besser im Gesamtkontext einordnen.
Entwicklung 2005-2020
Das Statistische Bundesamt liefert zunächst für den Zeitraum von 2005 bis 2020 entsprechende Daten.
- Der E-Commerce machte 2020 rund 16% des Einzelhandelsumsatzes aus. Dies entspricht der zwölffachen Menge im Vergleich zu 2005. Dort lag der Anteil lediglich bei 1,3%. Allein von 2019 auf 2020 ist ein Sprung um 2,7% erkennbar; der stärkste Anstieg im dargestellten Zeitraum. In absoluten Zahlen heißt das: Der E-Commerce-Umsatz steigt von 2017 bis 2024 Prognosen zufolge von rund 40 Milliarden Euro auf über 100 Milliarden Euro.
- Derweil verzeichnet der stationäre Einzelhandel Rückschritte. Zwischen 2010 und 2020 musste jedes zehnte Ladengeschäft schließen.
- Der Zehn-Jahres-Vergleich zeigt zunächst eine Verschiebung hin zum E-Commerce: Zwar erhöhte der stationäre Einzelhandel seine Umsätze in den Jahren von 2011 bis 2021 preisbereinigt um 10,3 %, blieb mit diesem Zuwachs aber deutlich unter dem der Onlinekonkurrenz. Diese konnte ihre Umsätze im selben Zeitraum mehr als verdreifachen und verzeichnete ein reales Umsatzplus von 221,7%.
Erfolgreiche Verzahnung von stationärem Handel und E-Commerce
Dabei gibt es trotz des permanenten Vergleichs zwischen stationärem- und Onlinehandel diverse Unternehmen, die in beiden Bereichen Fuß gefasst haben. Hierbei ist es wichtig, die richtigen Prozesse in der Zusammenarbeit zu nutzen, um effizient und flexibel zu bleiben. Erfahre anhand zwei prominenter Beispiele aus dem Modebereich, wie dies gelingen kann.
- Die s.Oliver Group etwa hat ihre papierbasierten Prozesse im Vertragsmanagement digitalisiert.
- Auch Gerry Weber spart durch den Ersatz von ineffizienten und fehleranfälligen Workflows nun Zeit und Kosten ein.
Nach diesen vielen Zahlen und Fakten wird deutlich, dass der E-Commerce ein vielfach höheres Wachstum als der stationäre Einzelhandel zu verzeichnen hat. Es zeigt allerdings auch: Trotz dieser Entwicklung liegt der E-Commerce Anteil am gesamten Einzelhandel bei gerade einmal 16%. Doch was steckt hinter diesen Zahlen? Welche Faktoren beeinflussen diese Entwicklung so massiv?
Einflussfaktoren für die Entwicklung der nahen Zukunft des Einzelhandels
1. Verändertes Kaufverhalten
Die Gründe für die Entwicklung sind divers. Sie liegen zum einen im veränderten Kaufverhalten. Über die Jahre hinweg wurden Onlineshops und Marktplätze immer beliebter. Schließlich ist die Auswahl online auch viel größer und durch den größeren Wettbewerb wird auch der Preiskampf angekurbelt. Immer mehr Unternehmen bieten daher ihre (physische) Ware oder die Dienstleistung im Internet an, weil wir als Konsumenten:innen immer schneller und bequemer an unsere Ware herankommen wollen. Nicht umsonst lautet der Werbeslogan eines deutschen Unternehmens „Heute bestellt, morgen da!“, wobei mittlerweile auch Same-Day-Lieferungen möglich sind; aber schweifen wir nicht ab und konzertieren wir uns auf externe Faktoren für diese Entwicklung in jüngster Zeit.
Solche externen Faktoren sind etwa der seit Februar 2022 herrschende Ukraine-Krieg sowie die Corona-Pandemie. Aufschluss über das Kaufverhalten der deutschen Bevölkerung vor dem Ukraine-Krieg sowie der Corona-Pandemie liefert ein Vergleich des stationären Einzelhandels zum Onlinehandel in den Jahren 2018 und 2019. Der gesamte Einzelhandel verzeichnete innerhalb eines Jahres ein Umsatzplus von 2%. Dabei wuchs der stationäre Einzelhandel lediglich um 1,2%, der Onlinehandel hingegen legte um 9,1% zu.
2. Corona-Pandemie
Durch Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie mussten stationäre Geschäfte zum Teil schließen. Hierdurch profitierte vor allem der E-Commerce. Der „Online-Boom“, wie das Handelsblatt titelte, setzte sich nach dem Lockdown 2021 weiter fort. Diese Entwicklung zeigte sich auch im Jahr 2022. Trotz eines Umsatzwachstums im gesamten deutschen Einzelhandel konnte nur der E-Commerce Gewinne verzeichnen. Dieser wuchs von 72,8 Milliarden Euro auf 86,7 Milliarden Euro. Der Umsatz des stationären Einzelhandels sank unterdessen. Die Corona-Pandemie zeigt aber Auswirkungen: Wird der Umsatz des stationären Einzelhandels gegen Ende der Pandemie jenen Umsätzen vor der Corona-Pandemie gegenübergestellt, so ergibt sich ein negatives Bild für das Jahr 2022. Die Erlöse im Nicht-Lebensmittel-Handel lagen hier noch immer 20% unter den Werten von 2019.
3. Ukraine-Krieg
Neben der Corona-Pandemie ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ein wesentlicher Aspekt, welcher erhebliche Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Konsumenten hat(te). Bei einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK) Anfang 2023 gaben 78% der Unternehmen in Deutschland an, direkt oder indirekt vom Krieg in Europa betroffen zu sein; bezogen auf die Industrie sind es sogar 91%. Zum einen, indem die Unternehmen Exporte nach Russland gestoppt haben sowie Investitionen ausgesetzt wurden; zum anderen durch unterbrochene Lieferketten und Transportwege. Demnach spürte auch der Onlinehandel die Auswirkungen des Krieges: Die Süddeutsche Zeitung titelte: „Krieg beendet Boom“. Vor dem Krieg konnte der E-Commerce in Deutschland ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 11,5% vorzeigen; nach dem Beginn sank der Wert 2022 auf 2,3%.
4. Inflation
Der Verbraucherpreisindex (VPI), auch als Inflationsrate bezeichnet, „misst die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte für Konsumzwecke kaufen“ und ist „der zentrale Indikator zur Beurteilung der Geldwertentwicklung in Deutschland“. Die Europäischen Zentralbank (EZB) strebt eine Inflationsrate von 2% an, da somit die Preisstabilität am besten gewährleistet werden kann. Die hohe Inflationsrate hatte sich bereits durch die Corona-Pandemie angedeutet, der Krieg in der Ukraine beschleunigte dies. Seit Anfang 2021 stieg die Inflationsrate bis zum Ende 2022 nahezu stetig an. Im Februar 2022, vor Beginn des Krieges, lag die Inflationsrate bereits bei 5,1%. Im Oktober desselben Jahres erreichte die Inflationsrate einen Höchstwert von 10,4%.
Mittlerweile ist die Corona-Pandemie, die den Online-Boom beschleunigt hat, vorbei. Zudem haben sich die Unternehmen auf den Krieg in der Ukraine eingestellt und konnten sowohl Produktionsstätten sowie Lieferwege anpassen. Und auch die Inflationsrate ist mittlerweile wieder deutlich gesunken; lag im Juni 2024 noch bei lediglich 2,2%.
Gründe für den Einkauf im stationären Einzelhandel
Werfen wir nun einen Blick darauf, wie sich das Kauferlebnis im stationären Handel unterscheidet. Dabei überzeugen lediglich zwei Aspekte mehr als die Hälfte der Befragten. Das Argument für die Begutachtung im Geschäft überzeugt 63%; dies ist der höchste Wert. Die Möglichkeit des Testens ist für 52% ein Argument für den Kauf im stationären Einzelhandel. Die übrigen Treiber erhalten allesamt eine Zustimmung von unter 50%. Bei der Abwicklungsdauer des Kaufs etwa fällt auf, dass die Befragten in Deutschland im weltweiten Ländervergleich mit 26% dieses Argument am geringsten bewerten. Die übrigen Länderwerte hierzu bewegen sich zwischen 34% und 55%. Ca. 42% der in Deutschland Befragten gaben zudem an, dass das für ihr Anliegen benötigte Geschäft nicht in ihrer Nähe existiert. Im Ländervergleich ist das mit Abstand der höchste Wert. Letztendlich zeigt sich auch hier eine immer größer werdende Verschiebung: hin zum E-Commerce und weg vom stationären Einkauf.
Prognose zur Zukunft des Einzelhandels: Der stationäre Einzelhandel bleibt!
Nach den ganzen Zahlen, Statistiken und Gründen zur Zukunft des Einzelhandels ist klar, dass die aktuellen Entwicklungen und Gegenüberstellung von E-Commerce und stationärem Handel eine immer fortschreitende Entwicklung hin zum Onlinehandel zeigen. Oft ist es für uns angenehmer, Artikel online zu bestellen und vor die Haustür geliefert zu bekommen. Hierauf haben sich die Unternehmen im Laufe der Jahre größtenteils eingestellt und werben für ihre Produkte bzw. Dienstleistungen auf Marktplätzen oder den eigenen Onlineshops.
Die Entwicklung zeigt aber: Der E-Commerce macht einen verhältnismäßig geringen Anteil am gesamten Einzelhandel aus. 2020 lag dieser bei 16%. 2023 schrumpft der Anteil auf lediglich 13,2%.
Denn: Alltägliche Gegenstände, Kleidung oder Lebensmittel bleiben auch weiterhin bedeutsamer Teil des stationären Einzelhandels; hier gewinnt der Onlinehandel (noch) nicht die Oberhand. Die Begutachtung oder die Möglichkeit des Testens der Produkte vor Ort bleiben Faktoren, welche der E-Commerce so nicht erfüllen kann und auch in Zukunft ein Alleinstellungsmerkmal vom stationären Einzelhandel bleibt.
Trotzdem muss sich der Handel weiterentwickeln. Beteiligten Unternehmen – sowohl im stationären Einzelhandel als auch im E-Commerce – müssen hinsichtlich der Möglichkeiten der Digitalisierung immer am Zahn der Zeit bleiben und neue Entwicklungen mitgehen. Nur so bleibst du auch langfristig auf dem umkämpften Markt des Handels effizient und deinen Wettbewerbern einen Schritt voraus.
Erfolgsstrategien und Lösungen für die digitale Transformation im Handel