Vor über einem Jahrzehnt fand der digitale Wandel auch in der Justiz einen Platz: Denn im Oktober 2013 wurde das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten verabschiedet. Das Gesetz beinhaltete die Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung durch bundesweite Einführung einer Anwendungspflicht für Rechtsanwälte zum 1. Januar 2022.
Konkretere Pläne gab es jedoch im Dezember 2020 mit dem Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung im Februar 2021 wurde im Oktober 2021 schließlich das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bundesgesetzblatt verkündet.
Im föderalistisch organisierten Deutschland kann der Bundesgesetzgeber jedoch nur die Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs definieren. Die Umsetzung der Digitalisierung obliegt schlussendlich den einzelnen Bundesländern – wie so oft, mit der Folge eines digitalen Flickenteppichs. In diesem Artikel betrachten wir daher den elektronischen Rechtsverkehr im Allgemeinen, die Nutzen davon, die einzelnen Postfächer und mögliche Anwendungsfälle aus der Vogelperspektive.
Was versteht man unter dem elektronischen Rechtsverkehr
Definition: Elektronischer Rechtsverkehr (eRV)
Der elektronische Rechtsverkehr beschreibt die sicheren, rechtlich wirksamen elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten zwischen der Justiz und Behörden sowie verschiedenen Rechtsträgern, wie Rechtsanwälten, Notaren, Bürgern, Gerichtsvollziehern und Unternehmen in einem Rechtsstreit.
Gemäß gesetzlichen Vorgaben muss die sämtliche Kommunikation zwischen einer öffentlichen Einrichtung (wie z. B. Behörde, Krankenhaus, Krankenversicherung, Kammer, Hochschule) und einer Justizbehörde (Gericht oder Staatsanwaltschaft) vollends elektronisch erfolgen. Aber haben die Beteiligten auch einen konkreten Nutzen von dieser Verpflichtung? Ja, sogar einige:
- Effizienzsteigerung: Durch den Einsatz digitaler Lösungen werden Dokumente in Echtzeit bearbeitet und übermittelt.
- Kosteneinsparung: Die Ausgaben für Papier, Druck, Versand und Archivierung von Papierdokumenten sinken deutlich.
- Erhöhte Transparenz: Die Beteiligten können Informationen über den Status der Verfahren in Echtzeit abrufen.
- Datenschutz & Sicherheit: Vertrauliche Informationen werden durch Verschlüsselung, Signaturen und Identifizierung geschützt.
- Umweltschutz: Der Papierverbrauch wird reduziert, was zu einer geringeren Belastung für die Umwelt führt.
Elektronischer Rechtsverkehr 2.0 – Das steckt hinter dem neuen digitalen Postfach
Seit 2001 wurden weitreichende rechtliche Vorgaben für den elektronischen Rechtsverkehr (ERV) festgelegt. Der Bundesgesetzgeber hat sogenannte sichere Übermittlungswege für die schriftformersetzende elektronische Kommunikation mit der Justiz definiert. Diese umfassen die Kommunikationskanäle zwischen der elektronischen Poststelle des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft und den verschiedenen elektronischen Postfächern, wie zum Beispiel:
eBO – elektronisches Bürger- und Organisationspostfach
beA – besonderes elektronisches Anwaltspostfach
beN – besonderes elektronisches Notarpostfach
beBPo – besonderes elektronisches Behördenpostfach
beST – besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach
Sachverständige, Gutachter:innen, Dolmetscher:innen, Übersetzer:innen, Unternehmen und Verbände können dieselben Kommunikationswege wie Bürger:innen nutzen.
EGVP – das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach
Alle genannten elektronischen Postfächer, die je nach Empfängergruppe anders benannt sind, gehören als Komponenten zu der EGVP-Infrastruktur. EGVP steht als Oberbegriff der Übertragungsmethoden im elektronischen Rechtsverkehr für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach. Dabei umfasst EGVP verschiedene aufeinander abgestimmte Komponenten der Kommunikationsinfrastruktur (wie auch SAFE, OSCI usw.), mit der seit 2004 authentifizierte Teilnehmende mit Behörden und Gerichten Nachrichten und Dokumente in elektronischer Form rechtswirksam übermitteln können.
Seit 2022 sind Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze, deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen über den elektronischen Rechtsverkehr bei Gericht einzureichen. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf die Kommunikation mit den Gerichtsvollziehern. Um das EGVP rechtsverbindlich zu nutzen, müssen die einzubringenden elektronischen Dokumente einzeln qualifiziert elektronisch signiert werden. Dadurch wird die persönliche Unterschrift elektronisch abgebildet.
Die Einrichtung eines speziellen Postfachs bietet im Vergleich zur De-Mail insbesondere für den Versand umfangreicher Anlagen, wie z. B. Behördenakten, einige Vorteile. Denn die EGVP-Infrastruktur ermöglicht die Übermittlung wesentlich größerer Nachrichten. Zusätzlich verfügen die EGVP-Sende- und Empfangskomponenten oft über eine Funktion, die eine gerichtliche Anforderung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB) erkennt und automatisch eine entsprechende Antwort generiert.
Nutzen des EGVP
- Zugänglichkeit rund um die Uhr zu den teilnehmenden Gerichten und Behörden
- Sicherheit und Zuverlässigkeit der Übertragung dank Nutzung des OSCI-Standards
- Geschützte Kommunikation durch kryptografische Mechanismen
- Zeit- und Kostenersparnis
- Möglichkeit zur elektronischen Weiterverarbeitung
- Sofortige signierte Eingangsbestätigung von Gerichts- oder Behördenempfängern:innen
- Vereinfachter elektronischer Rechtsverkehr durch eine einzige Software für Zusammenstellung, Unterzeichnung, Verschlüsselung und Übertragung von Nachrichten.
Die Integrität, Authentizität, Vertraulichkeit und Nachweisbarkeit der übermittelten Nachrichten werden durch den sogenannten OSCI-Standard sichergestellt. OSCI, das Online Services Computer Interface, ist ein Protokollstandard für sicheren Ende-zu-Ende-verschlüsselten elektronischen Nachrichtenaustausch über das Internet und andere Netzwerke. Es ermöglicht eine medienbruchfreie und effiziente Datenverarbeitung und gilt als verbindlicher Übermittlungsstandard für E-Government-Anwendungen. Dieser Standard verwendet das Prinzip des „doppelten Briefumschlages“ für die verschlüsselte Kommunikation.
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Elektronischer Rechtsverkehr auf dem sicheren Übermittlungsweg
Im elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz werden Schriftstücke, wie zum Beispiel Dokumente und Akten, zwischen identifizierten und authentifizierten Postfachinhabern auf einem sicheren elektronischen Transportweg ausgetauscht. Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind, gilt dies als sicherer Übermittlungsweg. Um eine automatisierte Übernahme in die jeweiligen IT-Systeme der Kommunikationspartner zu ermöglichen, werden strukturierte, maschinenlesbare Daten angehängt.
Checkliste elektronische Kommunikation mit der Justiz
- Eigenes und gerichtliches Aktenzeichen genau angeben, auf Leerzeichen achten
- Falls kein gerichtliches Aktenzeichen bekannt: aussagekräftiges Schlagwort angeben (z. B. Klage, Beschwerde, Berufung oder Neu)
- Bei Eilbedürftigkeit: aussagekräftiges Schlagwort im Betreff angeben (z. B. Eilt, Einstweilige Verfügung)
- Das Feld „Nachricht“ nicht benutzen. Sämtliche Anschreiben sind als elektronische Dokumente in der Anlage im Format PDF oder TIFF beizufügen.
- Möglichst XJustiz-Datensatz erstellen
- Eingescannte Dokumente mittels OCR durchsuchbar machen
- In jede Datei nur ein Dokument (also Schriftsatz eine Datei, Anlage 1 eine Datei, Anlage 2 eine Datei usw.). Dabei die Dateigröße so klein wie möglich halten.
- Alle Dateien aussagekräftig benennen, max. 90 Zeichen je Dateiname inkl. Dateiendung. Man darf alle Buchstaben des deutschen Alphabets (auch ä, ö, ü und ß) und alle Ziffern nutzen. Erlaubte Sonderzeichen sind – (Minus) und _ (Unterstrich). Der Punkt ist als Trennung zwischen Dateibezeichnung und Dateiendung erlaubt (Beispiel: .pdf)
- Empfohlene Dateibezeichnungen: Nummerierung_Dateibezeichnung_Datum:JJJJ-MM-TT.pdf/tiff. Beispiel: 01_Klageschrift_2021-06-04.pdf
- Jede Datei, vor allem eingescannte oder abfotografierte Dokumente, auf gute Lesbarkeit prüfen
- Bei qualifizierter elektronischer Signatur: Jedes Dokument einzeln mit qualifizierter elektronischer Signatur versehen. Keine Containersignatur verwenden (nicht nur eine gemeinsame Signatur für alle Dateien)
- Bei Versand per De-Mail: Option absenderbestätigte De-Mail auswählen und einfache elektronische Signatur einfügen (z. B. durch das Einfügen des vollständigen Namens nach der Grußformel/am Ende des Dokuments)
Elektronischer Rechtsverkehr und seine Anwendungsfälle
Wie genau der elektronische Rechtsverkehr im Alltag öffentlicher Einrichtungen und Justizbehörden funktioniert, erläutern wir beispielhaft an drei Anwendungsfällen:
Anwendungsfall 1: Empfang eines Dokuments
Gerichte übermitteln Dokumente in einem der oben genannten Postfächer. Die Verarbeitung erfolgt mithilfe unterschiedlicher Anwendungen. Die Post wird im elektronischen Rechtsverkehr über eine Schnittstelle an das Dokumentenmanagement-System (DMS) übergeben und der berechtigten Person zur Verfügung gestellt.
Anwendungsfall 2: Erstellen eines elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB)
Bei Dokumenten mit Fristen, wie z. B. Urteilen, muss eine Empfangsbestätigung an das Gericht übermittelt werden. Diese Bestätigung, auch elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) genannt, wird erstellt, wenn beim Empfang des Dokuments festgestellt wird, dass eine solche Bestätigung notwendig ist. Die Sachbearbeitung bestätigt den Empfang, woraufhin das eEB automatisch erstellt und an die Absenderadresse gesendet wird.
Anwendungsfall 3: Zustellung von Dokumenten ans Gericht
Die Zustellung erfolgt in zwei Szenarien: 1. als Antwort in einem laufenden Rechtsstreit oder 2. zur Initiierung eines neuen Rechtsstreits. Mithilfe des DMS können die Dokumente direkt an das Gericht versandt werden, sofern die Organisation im Besitz eines besonderen Behördenpostfachs (beBPo) ist. Die Zustellung wird in den Notizen dokumentiert.
Chancen statt Pflicht beim elektronischen Rechtsverkehr: Wie Organisationen das DMS clever für sich nutzen
Elektronischer Rechtsverkehr zusammengefasst
Seit dem 1. Januar 2022 ist der elektronische Rechtsverkehr der einzige zugelassene Kommunikationsweg für Anwälte, Behördenvertreter und Vertreter öffentlicher Körperschaften mit den Gerichten in ganz Deutschland. Das Ziel besteht darin, den Beteiligten an gerichtlichen Verfahren die Abgabe verbindlicher Erklärungen gegenüber den Gerichten und Justizbehörden in elektronischer Form zu ermöglichen. Durch diesen Schritt erhofft man sich insbesondere eine Beschleunigung der Verfahren und eine Senkung der Kosten. Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) funktioniert ähnlich wie ein Mailprogramm mit integrierter Signaturfunktion. Mit dem EGVP können Schriftsätze und andere Dokumente nun rechtswirksam in elektronischer Form an alle teilnehmenden Gerichte und Behörden schnell und sicher übermittelt werden.
Häufige Fragen zum elektronischen Rechtsverkehr
Der elektronische Rechtsverkehr (kurz eRV) ist der rechtlich wirksame Dokumentenaustausch auf digitalem Wege zwischen Gerichten und öffentlichen Einrichtungen sowie deren Verfahrensbeteiligten auf Basis elektronischer Postfächer. Der eRV soll die altbekannte Kommunikation per Post oder Fax ablösen.
Die elektronischen Postfächer werden je nach Empfängergruppe anders benannt:
– Rechtsanwälte nutzen das besondere elektronische Anwaltspostfach – beA
– Notare nutzen das besondere elektronische Notarpostfach – beN
– Behörden nutzen das besondere elektronische Behördenpostfach – beBPo
– Bürger:innen und Organisationen nutzen das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – eBO
– Steuerberater:innen nutzen das besondere elektronische Steuerberaterpostfach – beST
– Gerichte bzw. Staatsanwaltschaften nutzen das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach – EGVP